Was ist Visuelle Kommunikation? Ein Annäherungsversuch.

Ein „Bild ermöglicht die [...] simultane [...] Aufnahme des Ganzen einheitlich und unmittelbar. Das eben ist seine Überlegenheit gegenüber allen Begriffen; die Begriffe müssen angehört oder gelesen, in der Vorstellung erarbeitet werden. Sie gehen Umwege, das Bild packt sofort und ganz“ (Dovifat, 1968, S.246).

Autor: Ingo Fritsch

Ihrer leichten Verfügbarkeit bedingt, haben sich Bilder scheinbar zur alltäglichsten Sache der Welt entwickelt. Ihre Wirkmächtigkeit durchdringt uns mit schier magnetischer Kraft, sie nistet sich in unser kollektives Bewusstsein ein und hinterlässt selbst in den geheimsten individuellen Seelenverstecken deutliche Spuren. Nicht selten sprechen und lesen wir sogar davon, dass Bildern in keinem anderen Zeitalter eine so starke Bedeutung zugesprochen wird, wie dies in unserer heutigen Zeit der Fall ist. Ich möchte hier (und tue es dennoch in einem späteren Artikel) nicht der Frage nachgehen, was wir unter dem Begriff des Bilde zu verstehen haben und ob es überhaupt möglich ist, eine gangbare Debatte für den Bildbegriff zu finden. Ich möchte hier versuchen, mich dem Begriff der Visuellen Kommunikation und damit dessen Bedeutung für unsere gesellschaftlicher Selbstverständnis annähern.

Um die Bedeutungsstärke eines Bildes in seiner Gänze zu erfassen, müssen wir einen Schritt zurücktreten und zunächst einmal klären, inwieweit unsere Wahrnehmung als sinnkonstruierendes Element überhaupt die Fähigkeit besitzt, unsere soziale Wirklichkeit auch tatsächlich zu beeinflussen. Die Voraussetzung für eine adäquate Beantwortung der Frage ist erstmal, unserer Wahrnehmung als Verkettung von Unterscheidungsleistungen und damit als Selektionsprozess zu verstehen, der nicht rein durch die Biologie zu erfassen ist . Vielmehr wird unser Blick durch persönliche Vorstellungen, Vorannahmen, Gefühlsempfindungen sowie durch vorausliegendes Wissen gefärbt, so gesehen kann es also kein unschuldiges Auge geben. Das eröffnet uns wiederum die Möglichkeit, den Akt des Sehen in jedem Fall als ein kulturelles Konstrukt zu verstehen, welches insofern zu einer treibenden Überzeugungskraft in Sachen individueller Realitätskonstruktion wird. Damit werden unsere Gesellschaft sowie unsere Kultur wiederum selbst zum Produkt unseres Sehens und entsprechend zu einer Interpretation der sozialen Wirklichkeit. Um es mit den Worten von Mitchell zu formulieren: „Visual culture is the visual construction of the social, not just the social construction of vision“ (Mitchell, 2002, S. 170). Entsprechend steht das Sehen also immer auch in Beziehung zu der menschlichen Gesellschaft mit samt ihrer ethischen, politischen, ästhetischen und epistemologischen Konzepte von Sehen und gesehen werden. Damit fällt es mir leicht, die grundlegende Voraussetzung dafür zu treffen, Bilder als Vermittler sozialer Interaktion zu verstehen: Quasi als Vorlagen, die unsere Begegnungen mit unseren Mitmenschen sowohl strukturieren als auch leiten.

Etwas konträr lässt sich aber auch davon ausgehen, dass die Selektivität unser Wahrnehmung auf einer sehr grundlegenden Ebene bei den meisten Menschen in einer ähnlichen Weise gegeben ist und insofern das Sichtbare intersubjektiv verfügbar ist. Begründet ist dies, da die Erzeugung von Seheindrücken bei den meisten Individuen auf weitgehend ähnliche Weise zu funktionieren und insofern in einem Selbst zur Verfügung zu stehen scheint. Bestimmte Wahrnehmungsmechanismen, wie Gruppenbildung, räumliches Sehen oder die Bewegungswahrnehmung, sind im aktuellen Verständnis kaum sozial bedingt und variieren erstaunlich wenig zwischen unterschiedlichen Individuen. Es lässt sich nicht leugnen, dass etwaige Aspekte, die Bildern also per se inhärent sind, in einem weit aus stärkerem Maße, als dies etwa bei der natürlichen Sprache gegeben ist, eine über Kulturen hinweg gehende, und damit anthropologisch veranlagte, Bildrezeption zu erlauben scheint. Zumal diese prozessuale Beständigkeit unserer Wahrnehmungsorgane für die Gestaltung des Sozialen aus unterschiedlichsten Gründen relevant ist. Laut dem Fachbereich der Wahrnehmungspsychologie fällt bei der Realitätskonstruktion menschlicher Individuen vor allem der sognannten Primärwahrnehmungen eine Schlüsselrolle zu. Im Gegensatz zu Sprache, die mit ihren zugrundliegenden Verknüpfungsregeln das Verständnis komplexer Sachverhalte erst ermöglicht, dienen die Primärwahrnehmungen vorwiegend der Konstruktion unserer Realität.

Wir haben uns - zum leichteren Verständnis - bisweilen immer dem Begriff des Bildes bedient, müssen diesen aber im Rahmen der Frage: Was Visuelle Kommunikation denn nun überhaupt ist? entsprechend anpassen. Denn der Gegenstandsbereich Visueller Kommunikation geht weit über diejenigen Artefakte hinaus, für die sich gemeinhin der Begriff des Bildes etabliert hat.

Phänomenologisch betrachtet spannt das Visuelle, als das über den Sehsinn Wahrnehmbare, einen Horizont intersubjektive verfügbarer Objekte auf, die durch jeden von uns empirisch beobachtbar sind. Damit ist auch bereits der Gegenstandsbezug dem Begriff der Visuellen Kommunikation inhärent und lässt sich nicht mehr alleine auf den des Bildes reduzieren. Hinsichtlich Visueller Kommunikation geht es also allgemein um das Verständnis einer Bildlichkeit, welches die Sichtbarkeit von Objekten mit dem dazugehörigen Bedeutungsgehalt vereint und an produktive wie auch rezeptive Visualisierungspraktiken anbindet. Dementsprechend ergibt sich Visuelle Kommunikation immer dann, wenn etwas visuell Gestaltetes unabhängig von seinem Trägermedium fähig ist, Sichtbarkeit zu einer grundlegend sinnhaften Form zu vereinen . Gleichzeitig beschreibt der Begriff aufgrund seiner kommunikativen Eigenschaften einen grundlegenden Beziehungszusammenhang zwischen dem zugrundeliegenden visuell gestalteten Artefakt und dem ihm situativ entgegengestellten Rezipienten.

Kurzum: Visuelle Kommunikation zielt auf eine intentionale Bedeutungsvermittlung auf Basis visueller Stimuli, um bestimmte, vorher festgelegte kommunikative Effekte zu erreichen.

Die spezielle Eigenheit Visueller Kommunikation zeigt sich dann in ihrer zugrundeliegenden assoziativen Logik, die der, bei Textkommunikation anzutreffenden argumentierenden Logik maßgeblich entgegensteht. Im Gegensatz zu einer visuellen Kommunikation nutzt die gesprochene wie auch geschriebene Sprache das Prinzip der semantischen Eindeutigkeit und setzt dabei auf einen linearen Informationsaufbau. Die Kommunikation auf Basis visueller Darstellung zeigt sich allerdings durch eine allgemeine Simultanität und dadurch weitaus offener als Sprache. In der Visuellen Kommunikation kann es deshalb nicht alleine um dessen Eindeutigkeit gehen: Es muss bei der Untersuchung visueller Artefakte vielmehr die individuelle Assoziativität in den Mittelpunkt gerückt werden. Wir haben uns also davon zu lösen, das Visuelle lediglich als rein ästhetisches oder auch nur dekoratives Element zu betrachten: Vielmehr müssen wir dazu übergehen, alles Visuelle aufgrund ihres visuellen Differenzierungspotenzials als mitunter strategisches Instrument einer ganzheitlichen Kommunikation anzusehen.

Mit diesem Verständnis wird das visuell Gestaltete mit und neben der sprachlichen Verständigung in entscheidender Weise die treibende Kraft in der Entwicklung unserer sozialen Wirklichkeit, weil es, im Gegensatz zu Prozessen kognitiver Natur, stets nur intersubjektiv verfügbar ist. Unsere Bilderfahrung kann damit nur auf einer Konstruktion und somit auf der Wechselbeziehung zwischen äußeren und inneren Bildern basieren, welche wir selbst veranstalten, während sie gleichzeitig von der Flut medialer Bilder modelliert wird. Und das wiederum ist ein Prozess, den wir nicht bewusst abstellen können. Ein Prozess, der eine magische Verwandtschaft zwischen Bild und Realität zur Folge hat. Ein Prozess der Metamorphose, durch den das Gesehene in erinnerte Bilder verwandelt wird, welche fortan in unserem menschlichen Bildspeicher einen neuen Platz finden und somit eine Beeinflussung unseres gegenwärtigen Ichs in Gange setzen.

Damit transformiert die individuelle Erfahrung aber auch zu einer zentralen Einschränkungsbedingung des deutenden Sehens. Verstehen wir den bildlichen Erfahrungsschatz dann als grundlegendem Prozess, bei dem sich ein Individuum mit Informationen und Verschränkungen seiner selbst mit seiner Lebenswelt auseinandersetzt, so wandeln sich diese Erfahrungen zu einer „formbedingte[n] Umgebung“ (Kautt, 2019, S. 169) Visueller Kommunikation, wird damit steuerbar und zu einem strategischen Instrument im intersubjektiven Kommunikationsprozess.

Quellen

  • Bal, M. (2003). Visual Essentialism and the Object of Visual Culture.Journal of Visual Culture, 2, 5–32.
  • Berzler, A. (2009). Visuelle Unternehmenskommunikation. Studienverlag Ges.m.b.H.
  • Dovifat, E (1968). Handbuch der Publizistik. De Gruyter.
  • Geise, S. (2019). Methoden der Bildrezeptions- und Bildwirkungsforschung. In K. Lobinger (Hrsg.), Handbuch Visuelle Kommunikationsforschung. Springer VS.
  • Großegger, B. (2011). Jugend in der Mediengesellschaft. Sozialisiert im Zeitalter des dynamischen technologischen Wandels. Institut für Jugendkulturforschung. https://www.jugendkul- tur.at/wp-content/uploads/Jugend_in_der_Mediengesellschaft.pdf
  • Kautt, Y. (2019). Soziologie Visueller Kommunikation: Ein sozialökologisches Konzept. VS Verlag für Sozialwissenschaften.
  • Merleau-Ponty, M. (1986). Das Sichtbare und das Unsichtbare ( v. C. Lefort, Hrsg.). Fink.
  • Mitchell, W. J. T. (2002). Showing seeing: A critique of visual culture.Journal of Visual Culture, 1(2), 165–181.
  • Müller, M. G. (2003). Grundlagen der Visuellen Kommunikation. Theorieansätze und Analysemethoden. UTB GmbH.
  • Petersen, T., & Schwender, C. (2018). Einleitung. In T. Petersen & C. Schwender (Hrsg.), Die Entschlüsselung der Bilder. Methoden zur Erforschung visueller Kommunikation. Ein Handbuch. (S. 17–26). Herbert von Halem Verlag.
  • Roloff, V. (2010). Surreale Medienspiele. In N. Rissler-Pipka, M. Lommel, & J. Cempel (Hrsg.), Der Surrealismus in der Mediengesellschaft - Zwischen Kunst und Kommerz. transcript Verlag.
  • Sachs-Hombach, K., & Schirra, J. R. J. (2009). Medientheorie, visuelle Kultur und Bildanthropo- logie. In K. Sachs-Hombach (Hrsg.), Bildtheorien. Anthropologische und kulturelle Grund- lagen des Visualistic Turn. (S. 393–426). Suhrkamp Verlag AG.
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