Die Mediengesellschaft und ihre Bilder - eine ethische Betrachtungsweise visueller Kommunikation - Teil 4

Wir haben im letzten Artikel also gesehen, dass die deontologische Theorie die Folgen eines Handelns nicht in Abwägungen der Handlungsoption mit einbeziehen. Der ethische Gehalt einer Handlung bestimmt sich also rein aus seinen individuellen als auch den kollektiven Pflichtvorgaben. Wie sieht es hingegen aus, wenn wir den Bildeinsatz am Nutzen der Veröffentlichung selbst bewerten?

Autor: Ingo Fritsch

Die Vertreter der Teleologie sind der Auffassung, dass die Nützlichkeit beziehungsweise das Prinzip des besten Glücks die Grundlage jeglicher Moral zu seien hat. Menschlichen Handlungen sind dann in dem Maß moralisch richtig, sofern ihnen die Tendenz innewohnt, Glück zu befördern und moralisch falsch, als dass sie die Tendenz haben, das Gegenteil von Glück zu bewirken. Der Sinn des Handels bestimme sich also nicht am individuellen Wohlergehen, sondern am größten Glück der größten Zahl. Charakteristisch für die Bestimmung des größten Glücks ist dabei das hedonistischet Kalkül. Dieses Kalkül summiert alle wirklichen Nutzwerte von Handlungsregeln und erachte diese als gut, deren Bilanz positiv ist. Dem liegt zu Grunde, dass Befriedigung und Schmerz weitere Befriedigung und weiteren Schmerz zur Folge haben können. Zur Berechnung des Wertes eines Handelns addiere man somit das Glück der Individuen erster Instanz auf und subtrahiert das verursachte Leid aus erster Instanz. Hinzuzuziehen sei dann das Folgeglück und auch das Folgeleid, wobei die Gewichtung jedes einzelnen Glücks und jedes einzelne Leid gleich zu sein hat. Die resultierende Gesamttendenz ermögliche dann eine genaue Bewertung des bevorstehenden Handels. Kurz gesagt: Eine Handlung ist ethisch geboten, sofern die Folgen, die sie nach sich zieht, besser sind als die Folgen jeglicher Handlungsalternative. Problematisch ist dies allerdings dahingehend, dass das subjektiv gefangene Individuum in die Rolle des neutralen Beobachters zu schlüpfen und sämtliche kurz- und langfristige Konsequenzen seines Handels abzuschätzen hat. Eine Optimierung des persönlichen Glücks darf hier nicht auf Kosten anderer Individuen geschehen.

Eine simples Gedankenspiel macht die Vorgehensweise bei der Bildveröffentlichung unter teleologischen Gesichtspunkten deutlich. Im Falle der Veröffentlichung erzielen die medialen Vertreter ein hohes persönliches Glück, gemessen an Auflage, Reichweite und finanzieller Rückvergütung. Dieses Glück betrifft aber nur eine geringe Anzahl von Beteiligten und lässt sich schwer als kollektives Glück argumentieren. Wir dürfen demnach nicht vergessen, dass die Erschaffung dieser Bildwelt in Summe ein unbestrittenes, in Teilen der Erde sogar kollektives Folgeleid nach sich zieht. Demzufolge steht das persönliche Glück weniger Akteure dem persönlichen Leid einer weitaus höheren Anzahl von teils sogar unschuldig Beteiligten gegenüber. Das hedonistische Kalkül nach Betrachtung sämtlicher positiven wie auch negativen Aspekte trägt ein negatives Vorzeichen. Eine Bildveröffentlichung, die nicht mehr nur dem rein neutraldokumentarischem Zwecke dient, ist demnach als ethisch verwerflich einzustufen.

Zusammengefasst hat das zu bedeuten: Die teleologische Ethik versucht die Frage nach einem guten Leben zu beantworten, in dem sie die Folgen eines Handels in Bezug auf das Kollektiv in den Mittelpunkt stellt. Die Notwendigkeit für ein gelungenes Leben findet sich hier nicht im Inneren des einzelnen Individuums, sondern in einem zwischenmenschlichen Miteinander. Demzufolge hat eine bildliche Darstellung mindestens das Potenzial kollektives Glück zu fördern.

Letztendlich ist im Sinne der Tugendethik das gute Handeln eine Frage der richtigen Einstellung und infolgedessen eine Frage des Charakters. Die Handlungen und Einstellungen beruhen auf der individuellen und somit in letzter Konsequenz auf der inneren Neigung. Tugend bezeichnet in diesem Sinne also die Fähigkeit, aufgrund innerer Neigungen zu handeln. Sie bezeichnet das Mittige, etwa das Vollkommene zwischen Übermaß und Mangel und lässt sich alleine durch die Vernunft bestimmen. Aristoteles geht es dabei eher um ein intuitives Element des praktischen Wissens, als um ein Prinzip der moralischen Normen und Richtlinien. In bester Konsequenz befördert das tugendhafte Handeln das individuelle sowie das kollektive Wohl. Einer tugendhafte Person ist es dabei allerdings unmöglich, das richtige Verhalten im Vorfeld zu bestimmen. Der Wert einer Handlung ergibt sich erst und somit direkt aus dem Wert der dahinterliegenden Tugend. Die eigene Entscheidung zugunsten eines moralisch korrekten Verhaltens muss dann anhand der eigenen Tugendhaftigkeit situationsabhängig gefällt werden. In letzter Konsequent gelangt der Mensch somit zu seiner Vollkommenheit, zu seinem absoluten Gutsein, wenn er als Mensch und damit als vernünftiges Wesen handelt. Dabei wird allerdings offengelassen, was konkret zu tun ist.

Doch was bedeutet das für uns Bildschaffende? Da die Tugendhaftigkeit eher als Element des praktischen Wissens zu betrachten ist und sich mittig im Spannungsfeld zweier gegensätzlicher Pole befindet, ist vor der Veröffentlichung eine vernünftige, ausbalancierte Bildposition zu finden, die sowohl das kollektive als auch individuelle Wohl zu fördern hat und demnach eine Abhängigkeit vom eigenen Beurteilungsmaßstab besitzt. Die Entscheidung hin zu der markanten Bildsprache und damit auch gleichzeitig weg von einer Vielzahl anderer (vielleicht auch weniger markanteren) Möglichkeiten wurde zwar anhand der eigenen Tugendhaftigkeit situationsabhängig getroffen, allerdings war das richtige Verhalten nicht im Vorfeld zu bestimmen. Eine moralisch richtige Entscheidung führe aber immer zu individuellem und kollektivem Wohl. Mit der Veröffentlichung der Bilder wurde unbestritten ein individuelles Wohl gefördert, das kollektive Wohl aber nicht zwangsläufig. Somit lässt sich unter Zuhilfenahme der Tugendethik diese Bildverwendung als moralisch verwerflich einstufen. Eine eindeutige und damit zweifelsfreie Bewertung lässt die Tugendethik allerdings nicht zu. Es liese sich höchsten argumentieren, dass ein Bild das individuelle und kollektive Wohl zu fördern habe.

Nach diesen Überlegungen müssen wir nochmals zu eingangs gestellter These zurückkehren. Sie stellt sich als hochkomplex dar und lässt sich keinesfalls eindeutig und schon gar nicht allgemeingültig beantworten. Die Verantwortung für einen unverfänglichen Bildeinsatz obliegt der Entscheidung jedes Individuums mit samt seiner soziokulturellen Prägung selbst. Zwingende Voraussetzung für einen reflektierten Umgang ist dabei ein fundiertes Wissen über die hintergründigen identitätsbedingten und identitätsbedingenden Rezeptionsvorgänge sowie die allgemeinen Wirk- und Einsatzmechanismen von Bildern. Dies kann auch ungeachtet einer Antwort geschehen, was ein Bild denn nun in Wirklichkeit ist. Fakt ist, dass sich die Rezeption als eine Kombination von dargebotenen Elementen und inneren Bildern, also den kognitiven, emotionalen und affektiven Assoziationen des Dargestellten innerhalb jedes Individuums aufdrängt. Diese Assoziationen sind durch die dispositive Wirkung unseres soziokulturellen Umfelds in Zusammenspiel mit eigenen Erfahrungen und ethisch-moralischen Sichtweisen geprägt, beeinflussen sich sogar wechselseitig. Dementsprechend gilt es sich den medialen Möglichkeiten bewusst und gleichzeitig reflektiert zu bedienen. Das schließt keinesfalls aus, Bilder für die eigenen Bedürfnisse und Interessen zu nutzen. Das wäre anmaßend. Denn die Forderung, allgemeine moralische Normen undifferenziert in allen Situationen anzuwenden, ist schier nicht mit unserer Lebenswirklichkeit vereinbar. Tritt man trotz der außerordentlichen Vielfalt der Situationen in der sozialen Wirklicht mit dem Anspruch einer unbedingten Verbindlichkeit auf (zudem auch noch in konkreten Situationen), so scheint das nur die reine Anmaßung des Sollens zu sein.

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