Die Mediengesellschaft und ihre Bilder - eine ethische Betrachtungsweise visueller Kommunikation - Teil 3

Folgen wir der empirischen Annahme, dass der Mensch grundsätzlich eine egozentrierte Präferenzstruktur besitzt und damit das Eigeninteresse als Triebkraft für sämtliches Handeln nutzt, so liegt die Durchschnittsmoral der Individuen in der Mehrung ihres Eigennutzes, ihres eigenen Wohlstands und ihres eigenen Glückes.

Autor: Ingo Fritsch

Aber dieser Egozentriertheit enthält am Rande auch die Kategorien der Nächstenliebe, des Mitleids und der Empathie. Also im Grunde genommen die altruistischen Präferenzen jedes Einzelnen. Dieser Zwiespalt führt zu einem wahrhaftigen Dilemma.

Handelt doch ein Bildproduzent im Sinne des egozentrierten Gewinnmotivs, so erfüllt er dennoch das Mitleidsmotiv, in dem er anderen durch bildliche Dokumentation Zugang zu Welten außerhalb des eigenen Wahrnehmungskreise bietet und damit in der Lage ist, individuelle Sehnsüchte zu stillen (oder auch zu wecken) und indirekt die Identität Anderer zu verändern. Allerdings sei auch hier angemerkt, dass die bildliche Darstellung von eigenen soziokulturellen und damit auch subjektiv ethischen Prämissen, also der eigenen Identität, geprägt ist und die Entscheidung zur Veröffentlichung eines Bildes mit großer Wahrscheinlichkeit tatsächlich einem Eigeninteresse folgt. Es ist schwer vorstellbar, dass Bildmaterialien ohne Bedeutungsintention veröffentlicht werden.

Deshalb werden wir uns in der heutigen (und vor allem zukünftigen) Mediengesellschaft auch zwingend mit ethischen Fragestellungen zum verantwortungsvollen Umgang mit Bildmaterialien beschäftigen müssen. Dass es hierfür allerdings keine allgemein gültigen – sondern lediglich subjektive – Antworten geben kann, wird deutlich, wenn wir unseren Blick auf auf die drei großen ethischen Denkrichtungen schwenken. Annähernd lassen sie sich dabei wie folgt beschreiben: Richtiges Handeln bedeutet nach der deontologischen Ethik aus Pflicht, nach der teleologischen Ethik mit dem bestmöglichen Nutzen und nach der Tugendethik tugendhaft zu handeln.

Allerdings lässt sich prinzipiell nur kommunikativ bestimmen, inwiefern jemand in der Lage ist, mit sortalen Gegenständen umzugehen, da es lediglich dadurch und mit wechselseitiger Kontrolle möglich ist, stabilen Zugang zu einem nicht-anwesenden Kontext herzustellen. Dabei erfolgt der Verweis auf die Nichtanwesenheit, in dem ein Kommunikationspartner sich dem Gegenüber als jemand darstellt, der seine Aufmerksamkeit auf jenen Kontext und damit nicht nur auf die tatsächlich vorhandene Situation richtet. Damit ist gezeigt, dass das Richten der Aufmerksamkeit auf einen bestimmten Kontext eine kommunikative Handlung ist, die sich als zentral für unser Bildvermögen darstellt. Dabei sticht sofort ein weiteres Problem ins Auge: Die Rezeption der Aussage eines Bildes (da das Bild eine kommunikative Handlung darstellt) ist dann in direkter Folge abhängig von dem Modus, in dem der Rezipient ein Bild wahrnimmt.

Beginnen wir mit der deontologischen Betrachtung. Hier scheint Kant (mit seiner regeldeontologischen Konzeption) nicht irrelevant zu sein. Zunächst unterscheidet Kant drei Grundformen des menschlichen Handelns: technisches Handeln, pragmatisches Handeln und moralisches Handeln. Wir beschränken uns bei der weiteren Argumentation auf das moralische Handeln, welches sittliche Norme und ethische Werte impliziert. Kant argumentiert bei seinem kategorischen Imperativ: Handle so, dass die Maxime deines Willens jederzeit zugleich als Prinzip einer allgemeinen Gesetzgebung gelten können. Kant stellt dabei grundsätzlich auf Universalisierbarkeit des eigenen Handelns ab. Wichtig ist, dass der Handelnde zunächst frei in der Suche nach seinen ethisch vertretbaren Werten seines Tuns ist. Die Messlatte für die Wahl seiner ethischen Normen ist somit die individualethisch akzeptierte Universalisierbarkeit seiner Handlungen, womit sie eine selbst gewählte Individualethik, nicht aber eine gesellschaftspolitisch vorgeschriebene Kollektivethik sozialen Verhaltens entsprechen.

Ungeachtet dessen befinden wir uns heutzutage in einem Spannungsverhältnis zwischen Individual- und Kollektivethik. Wenn wir Institutionen, wie zum Beispiel unser gesellschaftliches Zusammenleben, als Regeln verstehen, so stellen diese Regeln Anreize für das Verhalten von Menschen dar. Diese äußern sich zum Beispiel in Form von Gesetzen. In unserer Zivilgesellschaft gibt es allerdings geschriebene und ungeschriebene Regeln, in denen sich spezifische Moral- und Ethikvorstellungen ausprägen. Dies kann zu Spannungen im Grenzgebiet zwischen Individual- und Kollektivethik führen. Damit ist also gezeigt, dass bei der deontologischen Ethik das menschliche Handeln in den Vordergrund rückt, da lediglich die Handlung an sich gegen eine Norm verstoßen kann. Solange man sich also im Dreieck zwischen allgemeinen Geboten, Verboten und Erlaubnissen bewegt, hat sich der Handelnde ungeachtet der Folgen nichts vorzuwerfen. Daraus resultiert auch das deontologische Paradox, auf das ich hier nicht näher eingehe.

Zur praxisrelevanten Untermauerung greife ich auf den bildpolitisch wohl folgenreichsten Bildakt unserer Geschichte zurück, durch den das Bild, so folge ich G. Paul, endgültig seine Unschuld verloren hatte und der nicht unbeträchtliches menschliches Leid hervorbrachte: Die Bilder vom Terroranschlag vom 11. September 2001.

Aufgrund der immensen gesellschaftlichen Folgen scheint mir eine rückwirkende ethische Betrachtung im Hinblick auf die Veröffentlichung dieser kalkulierten Bildwelten als ein (wohlwissend recht plakatives) Paradebeispiel. Deutlich wurde, dass der Einsatz dieser Bilder nicht mehr nur primär der bildlichen Dokumentation entsprechender Geschehnisse diente, sondern vor allem zum Ziel hatte, markante Bilder zu erzeugen, die die Fähigkeit besitzen, Dritte zu beeinflussen und gleichzeitig den Ausdruck eines neuen Krieges ungleicher, asymmetrisch gewordener Konfliktpartner zum Vorschein bringen. Vorschnell wurden die Bilder dann in den Medien als Kampfansage des Terrorismus gewertet: Mit den bekannten Folgen des durch G.W. Bush ausgerufenen weltweiten Krieg gegen den Terrorismus und dem kürzlich jähen Ende westlicher Afghanistanpolitik.

Folgen wir allerdings der deontologischen Sichtweise, so ist die Veröffentlichung entsprechend markanter Bilder nicht verwerflich, sofern sich die bildliche Darstellung frei auf dem Spielfeld der externen Normen und des kategorischen Imperativs des Kommunikators bewegt. Tatsächlich wäre ein Verletzung externer Normen aus objektiver Sicht nicht festzustellen. Ob eine Verletzung des kategorischen Imperativs des Bildproduzenten stattgefunden hat, lässt sich aus unserer Perspektive nicht beurteilen. Fakt ist hingegen, dass sich zumindest die medialen Träger für die Freigabe des Bildmaterials entschieden und so entsprechend ihrer subjektiven Normen agierten. Die Folgen, die die Veröffentlichung nach sich zieht (in konkretem Fall der weltweite Krieg gegen den Terrorismus) spielen bei der Abwägung der Handlung aus deontologischer Sichtweise zunächst einmal keine Rolle. Es ist also völlig egal, ob durch die Veröffentlichung eine neue Realität geschaffen wird, die in weiterer Folge Unschuldige verletze oder sogar töte. Der Abdruck ist aus dieser Perspektive als ethisch korrekt anzunehmen.

Fortsetzung folgt.

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